Ein neues Betriebsmodell für die Beschaffung, Teil 1: Prozesse

Michael van Keulen
Michael van Keulen
Chief Procurement Officer, Coupa

Michael van Keulen (aka “MVK”), Coupa's Chief Procurement Officer, has been in finance and procurement for 20+ years at high growth global companies where he managed procurement transformations and digitized the procurement process, driving significant stakeholder value.  Michael is a procurement fanatic, passionate about elevating the role of procurement by applying best in class practices and enabling business spend management through the power of digitization.

Lesedauer: 9 mins
Ein neues Betriebsmodell für die Beschaffung, Teil 1: Prozesse

Das Jahr 2020 hat Unternehmen viele neue Erkenntnisse gebracht. Die Wichtigsten waren uns Führungskräften in der Beschaffung bereits bestens bekannt: Schnell agierende Unternehmen konnten sich zeitnah anpassen und agil vorgehen, während Firmen mit alten Betriebsmodellen zu kämpfen hatten. Alte Funktionsmodelle für die Beschaffung sind überholt und wir müssen Änderungen vornehmen, um unsere Unternehmen besser unterstützen zu können.

Da 2021 weitere Überraschungen und Unerwartetes für uns bereithalten sollte, muss die Beschaffung nun die Weichen für die Zukunft stellen.

Neue Technologien sind nicht mit alten Modellen kompatibel

Trotz laufender Bemühungen um digitale Transformation in allen Branchen sind Beschaffungsmodelle in den vergangenen zehn Jahren weitgehend auf dem alten Stand geblieben. Viele Beschaffungsfunktionen laufen weiterhin im Hintergrund. Führungskräfte kontaktieren die Beschaffung nur, um den Einkauf von Waren und Dienstleistungen zu beschleunigen oder um interne Richtlinien zu befolgen. Äußerst selten wird die Beschaffung eingesetzt, um bessere Geschäftsergebnisse zu erzielen – geschweige denn als Wettbewerbsvorteil.

Ihr Modus Operandi ist nach wie vor das Verhandeln, Kaufen und Überwachen von Waren als reaktiver, passiver und unzureichend genutzter Teil der Organisation. In der Praxis macht das jedoch wenig Sinn, insbesondere angesichts der raschen Entwicklung, der steigenden Komplexität und der Vernetzung von Lieferketten und der immer moderneren Beschaffungstechnologien. Als Beschaffungsprofis sollten wir unsere Unternehmen heute dabei unterstützen, Ausgaben smarter, sicherer und schneller zu tätigen.

Um in diesem sich rasch wandelnden Geschäftsumfeld bestehen und wachsen zu können, müssen wir unsere Betriebsmodelle so weiterentwickeln, dass sie stärker auf Handlungen basieren, die Beschleunigung und Wendigkeit unterstützen und die Teams stärken.

Ich werde in dieser dreiteiligen Artikelreihe über das neue Beschaffungsmodell die Prozesse, Schlüsselfunktionen und Technologien erläutern, über die ein agiles Beschaffungsumfeld entsprechend den Anforderungen moderner Unternehmen verfügen muss.

Ein neues Modell: Agile Prozesse freisetzen, um den Mehrwert zu steigern

Ältere Beschaffungsmodelle belasten Unternehmen. Ein traditioneller, auf Warengruppen ausgerichteter Ansatz unter der Leitung erfahrener Experten für Kategorien mag früher erfolgreich gewesen sein, führte jedoch zu Silos ohne klare Zuständigkeiten und Verantwortung in der Lieferkette.

Die Beschaffung der Zukunft muss agiler sein, die Wertschöpfung maximieren und sich durch Produktinnovation in einen echten Wettbewerbsvorteil verwandeln. Ausgabenkategorien sollten durchgängig verwaltet und funktionsübergreifende Teamarbeit ermöglicht werden.

Mit dem Modell zur Beschaffungsreife können Sie zunächst die Reife Ihrer Beschaffungsorganisation messen.

Die Beschaffung benötigt ein neues Betriebsmodell, um sich strategischer zu positionieren und nicht mehr als Hemmnis, sondern als Wegbereiter für Wertsteigerung zu fungieren. Wir müssen Unternehmen proaktiver und energischer unterstützen, um sie auf die vor ihnen liegenden Herausforderungen vorzubereiten. Im vergangenen Jahr waren Unternehmen mit starken Business Spend Management (BSM)-Prozessen viel resilienter und durchsetzungsfähiger als Organisationen, die an den klassischen, isolierten Beschaffungsverfahren und Betriebsmodellen festhielten.

Wir müssen Unternehmen
proaktiver und energischer unterstützen,
um sie auf die vor ihnen liegenden Herausforderungen vorzubereiten.

Dazu müssen zunächst die verschiedenen Optionen identifiziert und geprüft werden. In der Regel gibt es vier oder fünf gängige Organisationsstrukturen. Dazu zählen zum Beispiel zentralisierte, dezentralisierte, hybride, koordinierte und delegierte Modelle. Jedes Modell hat eigene Merkmale, Vorteile und Zielkonflikte.

Ein stark dezentralisiertes Modell ist zum Beispiel näher am Unternehmen und kann rascher strategische Beziehungen zu lokalen Lieferanten knüpfen. Gleichzeitig sind die Ausgaben fragmentierter und es wird wenig durch die Ausgabenkonsolidierung bewirkt. Eine zentralisierte Organisation kann dagegen mehr Gewicht und Einfluss haben und effizienter sein, während es ihr jedoch an lokalem Know-how fehlt und/oder sie ihre Produkte langsamer auf den Markt bringt.

Die Kenntnis dieser Organisationsstrukturen ist unerlässlich, damit sich die Beschaffung bestmöglich positionieren und das Unternehmen optimal begleiten kann. Das geeignete Betriebsmodell ist ein bewegliches Ziel. Deshalb besteht die größte Herausforderung darin, die erwartete Wirkung und den Ressourcenbedarf in die richtige Balance zu bringen. Die Beschaffung muss agil und in der Lage sein, Informationen bei Bedarf und entsprechend den Geschäftsanforderungen schnell zu skalieren.

Die Beschaffung muss agil
und in der Lage sein, Informationen bei Bedarf
und entsprechend den Geschäftsanforderungen schnell zu skalieren.

Optimale Ausrichtung des neuen Betriebsmodells und der Prozesse

Für den reibungslosen Übergang zu einem neuen Betriebsmodell sollten die folgenden vier Schritte für die Erneuerung des Beschaffungskonzepts und der Prozesse beachtet werden:

1. Schritt – Beschaffung auf das Unternehmen ausrichten

Wir müssen sicherstellen, dass die Beschaffung eng auf das Unternehmen abgestimmt ist. Das bedeutet, dass wir im Tagesgeschäft relevante Unterstützung leisten – und nicht nur bei Ausschreibungen aktiv werden. Sie sollten die Performance Ihrer Lieferanten immer im Blick haben und ihren Lebenszyklus nachverfolgen.

Als ich bei Lululemon anfing, war die Beschaffung sehr transaktionsorientiert und nur begrenzt fähig, vorgelagerte Aktivitäten (z. B. Source-to-Contract) zu steuern oder strategische Ziele zu verstehen. Parallel zum Wachstum und zur Skalierung mussten Silos aufgebrochen werden, um Ressourcenineffizienzen zu identifizieren, Risiken in der Lieferkette zu senken und die Supply Chain-Resilienz zu maximieren. Infolge der fehlenden Förderung durch die Leitungsebene konzentrierte sich die Beschaffung ausschließlich auf operative Bereiche, die Verwaltung von Kategorien mit begrenztem Mehrwert oder auf die Erfüllung der Erwartungen des Unternehmens.

In den vergangenen Jahren wurde ich immer wieder gefragt, was das Geheimnis einer erfolgreichen Transformation der Beschaffung ist. Die wesentlichen Erfolgsfaktoren sind: veränderte Verhaltensweisen, eine klare Governance-Struktur, das Engagement der Führungskräfte, Durchhaltevermögen, emotionale Intelligenz und ein dickes Fell. Doch der Faktor Mensch steht letztlich immer im Zentrum. Aus Erfahrung kann ich Ihnen nur zu Folgendem raten:

  • Starten Sie stets mit der leichten Beute, das heißt mit marktunempfindlichen Kategorien, die gute Ertragschancen bieten (erste Gewinne feiern!)
  • Betonen Sie, dass die Beschaffung für Ausschreibungen zuständig ist, dass die Entscheidung aber stets beim Unternehmen liegt.
  • Legen Sie zunächst das Erfolgsergebnis fest und kommunizieren Sie es!
  • Klären Sie die Funktionen und Zuständigkeiten!
 
2. Schritt – Lieferantenmanagement

Es ist wichtig, dass Sie während einer 3- bis 5-jährigen Geschäftsbeziehung regelmäßig mit Ihren Lieferanten in Kontakt treten. Nur so können Sie sicherstellen, dass Ihre Lieferanten durch Umfang, Größe, Kompetenzen und Know-how die Umsetzung Ihrer strategischen Ziele durchgängig unterstützen können. Wenn Sie beispielsweise nach Nordafrika expandieren wollen und ein Lieferant firmeneigene Produkte anbietet, Sie aber in dieser Region nicht unterstützen kann, ist das eine Einschränkung, die Sie beseitigen müssen.

Als ich bei der VF Corporation in der EMEA-Region in der Beschaffung tätig war, waren die Ausgaben dort markenübergreifend sehr fragmentiert. Es gab mehrere Lieferanten für verschiedene Kategorien wie Büromaterial, Kleiderbügel, Schaufensterpuppen, Personal und andere Bereiche. Durch den Vergleich von Spezifikationen, die Standardisierung und Verwertung von Ausgabendaten konnten wir die strategische Partnerschaft mit den Lieferanten jedoch vertiefen und die Verpackungen innovativ gestalten. So wurden Kosteneinsparungen von 20 % erzielt, bei gleichzeitiger Risikosenkung und Verkürzung der Vorlaufzeit sowie verbesserter Nachhaltigkeit und Qualität.

3. Schritt – Entwicklung der organisatorischen Agilität

In einem nächsten Schritt muss die Organisation agiler gestaltet werden. Dazu bedarf es jedoch nicht nur der entsprechenden Fachkenntnisse. Auf Beschaffungsebene muss zudem nachvollzogen werden, wie eine Ausschreibung durch versierte Mitarbeitende verbessert werden kann, die Daten auf Transaktionsebene bereitstellen können. Dank dieser kombinierten Funktionsbereiche können Sie Ihren aktuellen und künftigen Bedarf für die nächsten Jahren ermitteln.

Das wird große Wirkung haben, denn in der Kombination können die drei Funktionsbereiche das faktenbasierte Geschäftsergebnis deutlich steigern. Zudem werden die Einschränkungen und Merkmale der Partner berücksichtigt, sodass Sie sich bei der Umsetzung Ihrer strategischen Ziele auf ihren Support verlassen können.

4. Schritt – Identifizierung der erforderlichen Ressourcen

Die Ermittlung des Ressourcenbedarfs ist unverzichtbar, und zwar nicht nur hinsichtlich der Personalstärke, sondern auch bezüglich der Ressourcenart (Talente, mehr dazu in meinem nächsten Blogartikel) und der technischen Kapazitäten. Zentrale Aspekte dabei sind Menschen, Prozesse und Technik sowie die erforderlichen Fähigkeiten, Ressourcen und Investitionen.

In meinen früheren Positionen habe ich (manchmal sehr schwierige) Managemententscheidungen treffen müssen, beispielsweise um mein Team neu zu strukturieren oder neue Talente zu finden und zu gewinnen. Investitionen in Technologien mussten angefordert werden, um die für die ROI-Maximierung erforderlichen Tools und Kompetenzen bereitzustellen. Dies umfasste auch die Neuformulierung von Stellenbezeichnungen und -beschreibungen sowie die Änderung der Meldewege. Das ist mir ehrlich gesagt nicht immer beim ersten Mal gelungen. Mein Tipp: Treffen Sie schnell No-Regret-Entscheidungen und kommunizieren Sie transparent eine klare Vision, die jeden miteinbezieht.

...Mein Tipp: Treffen Sie schnell No-Regret-Entscheidungen
und kommunizieren Sie transparent eine klare Vision, die jeden miteinbezieht.

Es ist an der Zeit, unsere Beschaffungsprozesse zu überdenken

In den kommenden Jahren wird die Beschaffung nicht nur ihr Verhandlungsgeschick unter Beweis stellen. Sie wird vielmehr als Scrum Master fungieren, mit einem agilen Rahmenkonzept für die Entwicklung, Umsetzung und Aufrechterhaltung komplexer Projekte . In meinem nächsten Beitrag zu dieser Reihe werde ich darlegen, warum neue Fähigkeiten gebraucht werden und Fachkenntnisse für Kategorien, Analysen und Top-Down-Entscheidungen immer mehr an Relevanz verlieren. Die Beschaffung wird sich zu einem digital kompetenten Team von Allround-Künstlern entwickeln, das über die entsprechenden sozialen Fähigkeiten verfügt, um das Geschäftsergebnis gemeinsam zu verbessern.

Im letzten Artikel dieser Reihe werde ich Ihnen erläutern, wie Technologien die Beschaffungsmodelle weiter optimieren können. Das ist ein sehr wichtiges Thema, denn taktische und operative Beschaffungsaufgaben wie die Durchführung von Ausschreibungen, Spend Governance, Vertragsmanagement und Ausgabenanalysen werden durch digitale Tools, künstliche Intelligenz (KI) und robotergestützte Prozessautomatisierung (RPA) immer stärker automatisiert. Beschaffungsorganisationen werden dadurch entlastet und können proaktiver Kategorien, Risiken und Lieferantenleistungen steuern sowie Innovationen vorantreiben.

Die Beschaffungsfunktion ist im Wandel. Der ausschließliche Fokus auf Waren ist überholt und die Ausgaben werden nicht mehr von einem IT-Beschaffungsleiter mit jahrzehntelanger Erfahrung verwaltet. Wir brauchen jetzt anpassungsfähige Leute mit einer bestimmten Denkweise und spezifischen Eigenschaften, die Veränderungen in Organisationen anstoßen und den Unternehmenswert maximieren. Denn letztlich besteht unser Ziel darin, die Geschäftsergebnisse nachhaltiger zu gestalten, indem wir die strategische Positionierung der Beschaffung ständig verbessern und Best-Practices für strategisches Sourcing anwenden.

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