Ein neues Betriebsmodell für die Beschaffung, Teil 2: Talent

Michael van Keulen
Michael van Keulen
Chief Procurement Officer, Coupa

Michael van Keulen (aka “MVK”), Coupa's Chief Procurement Officer, has been in finance and procurement for 20+ years at high growth global companies where he managed procurement transformations and digitized the procurement process, driving significant stakeholder value.  Michael is a procurement fanatic, passionate about elevating the role of procurement by applying best in class practices and enabling business spend management through the power of digitization.

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Ein neues Betriebsmodell für die Beschaffung, Teil 2: Talent

Ich werde häufig gefragt:

Was macht eigentlich die Beschaffung?"
 
Die Antwort könnte kurz und knapp lauten: Die Beschaffung unterstützt Unternehmen dabei, Kaufentscheidungen zu treffen und mit jeder Ausgabe Mehrwert zu erzielen.

In Wirklichkeit sind unsere Tage aber mit vielen verschiedenen Aufgaben gefüllt, so dass wir an einem einzigen Tag als Vermittler, Berater, Verhandlungsführer, Buchhalter, Polizeibeamter, Richter, Geschworener und Lobbyist tätig werden müssen. Expertinnen und Experten für das Beschaffungsmanagement sind Unternehmer, Innovatoren, Visionäre und auch Strategen!

Im Rahmen meiner Tätigkeit hatte ich die Möglichkeit, neue Teams zu bilden, Veränderungen auf den Weg zu bringen und Unternehmen durch Leistungssteigerungen effizient zu unterstützen. Dabei ist mir immer wieder bewusst geworden, wie wichtig es ist, die richtigen Leute mit dem richtigen Talent, der richtigen Vielfalt, Teamdynamik, Einstellung und Ambition zu haben, um bedeutende Veränderungen anstoßen zu können.

Im ersten Teil dieses BlogsEin neues Betriebsmodell für die Beschaffung, Teil 1: Prozesse habe ich dafür plädiert, dass sich die Funktionsmodelle der Beschaffung neu erfinden müssen. Wir müssen aber auch die damit verbundenen Auswirkungen auf unsere wichtigste Ressource – unsere Teams – bedenken.

Die Beschaffungsfunktion ist ein Bereich, der sich schnell entwickelt – von der Durchführung von Ausschreibungen, der Erhöhung der kontrollierten Ausgaben, der Compliance-Überwachung und der Entwicklung hin zu einem strategischen Geschäftspartner. Heute muss die Beschaffung Drittanbieter-Risiken steuern, einen Wertbeitrag leisten und Unternehmen auch mithilfe von Innovationen in die Zukunft zu führen.

Um aber als Scrum Masters sicherstellen zu können, dass mehrere funktionsübergreifende Teams gemeinsam komplexe Geschäftsanforderungen bewältigen, sind sehr unterschiedliche Fähigkeiten gefragt. Sie weichen recht stark von dem klassischen Berufsprofil ab, nach dem Beschaffungsprofis vor allem Verhandlungsgeschick und umfassende Fachkenntnisse über Waren und Kategorien besitzen müssen. Berücksichtigt man zudem die Störungen durch technologische Neuerungen, mit deren Hilfe Unternehmen schneller von Marktchancen profitieren können, wird die Notwendigkeit neuer Qualifikationen sehr deutlich. Angesichts künstlicher Intelligenz (KI), robotergesteuerter Prozessautomatisierung (RPA) und der Digitalisierung des gesamten Beschaffungsprozesses müssen wir unseren Kompetenzmix neu überdenken.

Der Wandel der Beschaffungskompetenzen

Bei der Beschaffung liegt der Fokus seit jeher auf Kosteneinsparungen. Laut demProcurement Insight Report 2020 sind 60 % der Unternehmen der Ansicht, dass sich ihre bestehenden Beschaffungsproblematiken in Bezug auf Personal, Prozesse und IT pandemiebedingt verstärkt haben. Die Automatisierung hat in dieser Zeit zwar an Attraktivität gewonnen, aber auch den Personalbedarf verändert. In einemAPQC-Bericht werden soziale Kompetenzen und Soft Skills – wie kritisches Denken, Kommunikation, Stakeholder-Management und Beziehungsaufbau – als Erfolgsfaktoren eingestuft.

Beschaffungsteams mussten Waren wie persönliche Schutzausrüstung in Bereichen beschaffen, die für sie völlig neu waren und in denen sie keine Ansprechpartner hatten. Mehr Teams sind ortsunabhängig tätig und nutzen neue digitale Möglichkeiten. Welche Qualifikationen werden in der Beschaffungspraxis also künftig benötigt?

In den vergangenen 20 Jahren hatte ich Gelegenheit, Transformationen voranzutreiben, Beschaffungsstrukturen einzurichten und weiterzuentwickeln und Teams von Grund auf neu aufzubauen. Wenn ich neue Leute in meine Teams hole, sind für mich mehrere Kriterien wegweisend:

1. Diversität

Wir müssen uns für mehr Vielfalt in der Beschaffung einsetzen – und zwar im Hinblick auf Geschlecht, sexuelle Orientierung, Religion und ethnische Herkunft. Ebenso wichtig ist aber auch die Diversität hinsichtlich Berufserfahrung undAusbildung. Ich habe als Manager Talente aus den Bereichen Vertrieb, Kunden-Helpdesk, Finanzen, HR, IT, EA und Logistik angeworben.

Natürlich entschied ich mich dabei für Personen mit viel Erfahrung in der Beschaffung, aber der richtige Talentemix führt einfach zu besseren Geschäftsergebnissen. Zugegeben, Beschaffung hat nichts mit Hexerei zu tun. Beschaffungskompetenzen können jedem vermittelt werden. Und zu den Top-Performern gehören oft diejenigen, die weniger Erfahrung in der Beschaffung haben, aber die richtige Einstellung, Dynamik, Bereitschaft und Leidenschaft mitbringen. Solche Eigenschaften sind allemal wichtiger als eine jahrelange Tätigkeit in diesem Bereich.

Zugegeben, Beschaffung hat nichts mit Hexerei zu tun.
2. Angeborene Neugierde

Menschen, die von Natur aus mehr über Prozesse, Leute und die Welt um sie herum erfahren möchten, schauen im Allgemeinen weit über den Tellerrand hinaus. Sie stellen die richtigen Fragen und steigen tiefer in Themen ein. Häufig sind sie bereit, über das geforderte Maß hinaus die Geschäftsanforderungen zu erfassen und sich über Alternativen zu informieren. Das führt in der Regel zu besseren Ergebnissen, einem größeren Wertbeitrag und neuen und innovativen Lösungen für geschäftliche Herausforderungen. Um die natürliche Neugier zu messen, sollten Sie die Person am besten nach ihren Interessen, Hobbys oder ihrer Lieblingsfernsehsendung fragen (meine ist übrigens „So wird‘s gemacht“).

3. Emotionale Intelligenz

Da die Beschaffung viele verschiedene Funktionen erfüllen muss, ist der Kontakt zu verschiedenen Stakeholdern und eine individuell gestaltete Kommunikation sehr wichtig. Strategisches Denken muss mit taktischem Handeln einhergehen. Emotionale Intelligenz und Soft Skills werden in der Beschaffungsorganisation künftig einen immer größeren Stellenwert haben. Wir müssen an verschiedenen Punkten auf unterschiedliche Zielgruppen mit konkurrierenden Prioritäten eingehen und schnell auf Interessengruppen mit anderen Zielen reagieren können. Wir müssen kundenorientiert, aber gleichzeitig auch in der Lage sein, mit Ungewissheit umzugehen, das Ergebnis zu fokussieren und nach Exzellenz zu streben.

Das ultimative Ziel der Beschaffung besteht jedoch darin, die strategischen Zielvorgaben des Gesamtunternehmens operativ zu unterstützen. Accenture erklärt, dass Beschaffungsorganisationen den Menschen in den Vordergrund stellen und insbesondere Schlüsselpersonen in neue Bereiche einsetzen und umschulen müssen, um mit allen Stakeholdern bei der Gestaltung von innovativen Modellen für Abhilfe, Produktentwicklung und Leistungsqualität zusammenzuarbeiten.

4. Projektmanagement

Die Beschaffung muss umfangreiche und komplexe Ausschreibungen organisieren können, weshalb das Projektmanagement sicherlich ein Kompetenzschwerpunkt sein wird. Beschaffungsprofis müssen in der Lage sein, einen eindeutigen Zeitplan zu erstellen, Expertengruppen zu bilden, ein RACI-Modell zu entwickeln, Ergebnisse zu erzielen und die Mitarbeiter/innen in die Verantwortung zu nehmen und zur Rechenschaft zu ziehen. Parallel dazu muss sichergestellt sein, dass die wichtigsten Stakeholder konsultiert und informiert werden, insbesondere wenn es darum geht, endgültige Entscheidungen zu treffen.

5. Digitale Kompetenz

Beschaffungsteams müssen dem technologischen Fortschritt positiv gegenüberstehen, ihn vorantreiben und als Katalysator für die beschleunigte Wertschöpfung betrachten. Der Beschaffungsprofi der Zukunft sollte Informationen effizient interpretieren, Ergebnisse praktisch anwenden, einen Wertbeitrag leisten und Ideen kommunizieren, denn künstliche Intelligenz (KI), robotergesteuerte Prozessautomatisierung (RPA) und Blockchain-Technologie nehmen immer mehr an Fahrt auf.

Diese Technologien übernehmen bereits Aufgaben der taktischen, transaktionalen und operativen Beschaffung, wie Ausschreibungen, geführte Kauferlebnisse, Spend Governance, Vertragsmanagement und Ausgabenanalyse. Das entlastet die Beschaffungsteams und gibt ihnen mehr Zeit für das proaktive Management von Ausgabenkategorien, Lieferantenleistung, Risikomanagement, Innovation und die Steigerung des Umsatzwachstums. Die Beschaffung wird auch auf die gemeinschaftliche Intelligenz zugreifen und die kollektive Macht von Peers nutzen können, um den Informationsvorsprung kompetent in einen Wettbewerbsvorteil zu verwandeln.

Wie können hochqualifizierte Talente für die Beschaffung gewonnen und langfristig gebunden werden?

McKinsey zufolge machen neue Arbeitsweisen in der Beschaffung nicht nur mehr Dateningenieure und -wissenschaftler erforderlich, sondern auch mehr „Soft Skills“, um solide Partnerschaften mit Lieferanten aufzubauen und mit internen Funktionen im gesamten Unternehmen effektiver und agiler zusammenzuarbeiten. Laut McKinsey werden erfolgreiche Beschaffungsorganisationen lebenslanges Lernen als Teil ihrer Arbeitskultur verstehen.

Die Auswahloptionen bei der Ausbildung sind begrenzt. Das ändert sich jedoch (langsam), seitdem die Beschaffung immer mehr in den Vordergrund rückt. Die meisten Fachleute, die ich kenne, sind durch ihre Tätigkeit in einem anderen Funktionsbereich wie IT, Lieferkette, Finanzen oder Recht (ich selbst war anfangs im Finanzwesen tätig) in die Beschaffung eingestiegen.

Um Talente zu gewinnen, müssen Führungskräfte in der Beschaffung daher beim Teamaufbau und bei der Umsetzung von Best-Practices im Bereich strategisches Sourcing kreativ vorgehen.

Zunächst einmal sollten wir der Beschaffung ein „cooles Flair“ geben, wie Michael Cadieux von Procurement Foundry es ausdrücken würde. Das Stigma der Beschaffung lässt sich beseitigen, indem wir unser Wertversprechen hervorheben und die Beschaffung als Innovationsmotor darstellen, mit dessen Hilfe Unternehmen ihre strategischen Ziele übertreffen können. Wir müssen die Beschaffung von einem Ersatzberuf zu einem Traumberuf machen!

Der schnellste Weg, um Talente zu finden, ist die interne Qualifizierung von bestehenden Ressourcen. Was einfach erscheint, wird jedoch häufig als Option übersehen und kann zu Problemen bei der Personalbindung und zu Reibereien in den Teams führen. Die interne Qualifizierung kann durch Umschulung, Vermittlung von Erfahrungen in verschiedenen Bereichen und Lernen am Arbeitsplatz erfolgen. Dies kann mit viel Vorarbeit verbunden sein. Die Teambefähigung ist meiner Ansicht nach aber eine tolle Erfahrung und es macht einfach Spaß zu beobachten, wie sich die Personen entwickeln und reifen. So können leistungsstarke Teams gebildet werden, die sich weiterentwickeln und wachsen, während die Funktion an Reife gewinnt. Dies ist insbesondere mit Blick auf die Beschaffungsreife wichtig (vgl. Die 4 Stufen der Beschaffungsreife).

Es versteht sich fast von selbst, dass die Talentbindung nur durch Gehaltssteigerungen, neue herausfordernde Tätigkeiten oder einen Aufstieg auf der Karriereleiter verbessert werden kann. Häufig wird jedoch übersehen, dass banale, manuelle und sich wiederholende Aufgaben unbedingt durch den Einsatz von Technologien (mehr dazu in meinem nächsten Blogartikel) beseitigt und durch Tätigkeiten mit höherem Mehrwert wie Category Management, Lieferantenbeziehungen und Innovation ersetzt werden müssen. Die Arbeitszufriedenheit steigt, wenn sich Ihr Team auf Bereiche konzentrieren kann, die einen echten Wertbeitrag leisten und die strategischen Ziele des gesamten Unternehmens voranbringen. Talente wollen nicht wochenlang Ausgaben aufspüren und manuell zuordnen, interne Reibungsverluste bewältigen und/oder eine Ausschreibung per E-Mail und Excel durchführen. Vielmehr müssen wir diese Talente freisetzen und uns von ihnen bei der weiteren Entwicklung leiten lassen, damit die Beschaffungsfunktion zu einem attraktiven Wahlberuf werden kann. Supply Chain Dive zufolge belegt der CPO bereits Platz 11 der Liste der begehrtesten Vorstandsfunktionen 2020, mit einem Anstieg von 15 %.

Abschließend möchte ich hinzufügen, dass es sehr produktiv sein kann, wenn Sie Ihr Netzwerk nutzen und bei Einstellungen aufgeschlossen bleiben. Legen Sie den Schwerpunkt nicht auf Erfahrung im Beschaffungswesen, sondern vermehrt auf wichtige Soft Skills. Neue Talente sollten die Entscheidungsfindung beeinflussen können sowie flexibel und bereit sein, ständig dazu zu lernen. Der künftige Beschaffungsprofi ist kein Fachexperte mit tiefen Sachkenntnissen und knallhartem Verhandlungsgeschick, sondern ein Multitalent, das sich den Herausforderungen stellt!

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